Man kann 96 Hours – Taken 2 nicht wirklich einordnen, wenn man nicht den Vorgänger 96 Hours/Taken mit einbezieht. 2008 kam Luc Besson auf die Idee mal wieder einen richtig derben Rächerfilm zu drehen, allerdings mit einem Charakterdarsteller in der Hauptrolle, der der Sache eine besondere Note gibt. Nachdem man mit Liam Neeson den Hauptgewinn gezogen hatte, durfte Pierre Morel zeigen, dass das zwar flache aber spielfreudige und erstaunlich gelungene Banlieue 13 nicht bloß ein Zufallstreffer war. Nachschlag: 96 Hours – Taken 3 wurde mit drangehängt.
Bryan Mills (Liam Neeson) konnte aufgrund seines Berufes als Geheimagent nicht viel Zeit mit seiner Tochter Kim (Maggie Grace, Lockout) verbringen, weshalb er ihr zuliebe in den vorzeitigen Ruhestand ging. Kim lebt bei Bryan Mills Ex-Frau Lenore (Famke Janssen) und deren neuem, reichen Partner. Trotz Bryans Protesten fliegt Kim mit einer Freundin nach Paris, wo Scouts albanischer Mädchenhändler die beiden ansprechen und aushorchen. Während Kim mit ihrem Vater telefoniert, werden beide Mädchen verschleppt. Was zum berühmten „special set of skills„-Gespräch führt. Bryan Mills fliegt nach Paris und arbeitet sich die Rangstufen von den Beschaffern (albanische Mafia), über die Verteiler(französische Edelkriminelle) bis zum Endkunden (arabische Scheichs) hinauf.
96 Hours/Taken war der Action-Überraschungshit des Jahres. War die Familienstory doch sehr hölzern und der Sangeskarrieren-Nebenplot der Tochter nur dazu da, den Film auf normale Spielfilmlänge zu bringen, so war der Rest doch eine Offenbarung. Pierre Morel Stil hebt sich nämlich gewaltig von der üblichen Massenware ab. Sein Filmstil zeichnet sich durch Schnelligkeit, nicht aber durch Sprünge aus. Die Kamerabewegungen in seinen Filmen sind in der Regel sauber und von einer betonten Wackelästhetik weit entfernt. Die erstaunliche Wirkung entsteht durch die Zusammenwirkung der Geschwindigkeiten von Montage und Kamerabewegungen, ohne dass dabei auf jump cuts und Kamerawackler gesetzt wird. Was dazu führt, dass Liam Neeson, nun wahrlich kein Kampfsportexperte, die wahrscheinlich besten, pseudo-realistischsten Kampfszenen der letzten 20 Jahre präsentiert.
Dabei hat der Film – mit Ausnahme des vernachlässigbaren Nebenplots – einen wunderbaren Fluss und lange nicht gefühlten Härtegrad, ohne dabei ausufernd und übertrieben blutig zu sein. 96 Hours dürfte so ungefähr das Maximum einer FSK 16-Einstufung sein, wenn alle Prüfer die Augen zumachen und woanders hinschauen. Der Actionfan und auch viele Kritiker waren jedenfalls hemmungslos begeistert. Natürlich gab es auch einen Haufen Vorwürfe. U.a. wurde kritisiert, dass der Film rassistische Klischees verbreite. Was allerdings nur zutrifft, wenn das durchaus zutreffende Aufzeigen der kriminellen Hierarchieebenen in Frankreich rassistisch ist, weil es der Wahrheit entspricht. Wenn man sich aufregen wollen würde, dann eher deshalb, weil alle außer dem US-Amerikaner schlecht wegkommen. Aber es gibt auch genug Filme, wo es genau andersherum ist, also lassen wir die Kirche mal im Dorf. Oder man könnte sich über die Verherrlichung von Selbstjustiz aufregen, was bei einem expliziten Rache-/Selbstjustizfilm nun irgendwie kein Kritikpunkt an sich ist.
Der große Erfolg schrie natürlich nach einer Fortsetzung, die 2012 mit 96 HOURS – TAKEN 2 und dergleichen Kernbesetzung in die Kinos kam: Bryan Mills fliegt für einen Job nach Istanbul, wo ihn seine Ex-Frau – die wieder solo ist – und seine Tochter Kim besuchen. Was ein schöner Familienausflug werden soll, wird zum blanken Horror, als der Clan-Chef der albanischen Mafia blutige Rache für die Ereignisse in Paris üben will.
Eigentlich sind also die besten Voraussetzungen für eine gelungene Fortsetzung vorhanden. Maggie Grace darf diesmal nicht nur Opfer sein und stellt sich dabei sehr patent an, Liam Neeson ist Liam Neeson und es gibt auch keinen total debilen Nebenplot der stören könnte. Die Familienszenen funktionieren sogar ausgesprochen gut. Womit wir dann zu dem Problem kommen. Statt von Pierre Morel wird der zweite Teil von einem anderen Kumpel von Luc Besson inszeniert, nämlich Olivier Megaton, der schon Transporter 3 verbrochen hat und mit Colombiana auch nicht gerade Eindruck geschunden hat. Alles was Morels Filmweise besonders macht, geht Megaton komplett ab. 96 Hours – Taken 2 hat kein Taktgefühl, keinen richtigen Erzählfluss, sieht künstlich aus und am allerschlimmsten: Die Stilprägenden Nahkampf-Massaker sind nur noch Wackelkamera-Gewurstel. Gerade im Vergleich mit dem ersten Teil sieht es einfach unglaublich scheiße aus. Betrachtet man 96 Hours – Taken 2 einzeln ist der Film gar nicht schlecht und gerade die zwischenmenschlichen Szenen funktionieren weitaus besser. Aber im Vergleich mit dem kultigen Vorgänger liefert Megaton einfach nur Kernschrott ab. Alles was das Original besonders machte, fällt weg und wird durch generische Action ersetzt.
Fazit: Man kann sich 96 Hours- Taken 2 durchaus anschauen, aber wer eine Granate vom Kaliber des Vorgängers erwartet muss sich warm anziehen und wird beim Ansehen trotzdem erfrieren. Luc Besson sollte sich ernsthaft überlegen, ob er Megaton nicht einen längeren, endgültigen Urlaub im Regisseurs-Nirwana gönnt. Zur Behebung von Kopf- und Zahnschmerzen nach Betrachtung der Fortsetzung wird übrigens eine gepflegte Runde des Vorgängers auf Bluray/DVD empfohlen. The Raid hilft auch.
Nachschlag: 96 HOURS – TAKEN 3
Bryan Mills (immer noch Liam Neeson) hat bislang immer irgendwie seine Ex-Frau Lenore (immer noch Famke Janssen, aber nur kurz) und seine Tochter Kim (immer noch Maggie Grace, die aber sämtliche Arschtritt-Lektionen der ersten zwei Teile verlernt hat) retten können. Aber diesmal kommt er zu spät. Lenore wurde ermordet und Mills sieht aus wie der Täter. Aber Mills hat „a very special set of skills“ und macht sich dran, die wahren Täter zu stellen. Die Spur führt zur russischen Mafia. Während Mills auch noch von dem hartnäckigen Polizeiinspektor Franck Dotzler (Forest Whitaker, u.a. Repo Men) gejagd wird, kommen ihm Zweifel, ob die offensichtliche Lösung wirklich zutreffend ist…
TAKEN 3 hat auch einige positive Momente. Immer wenn die CIA-Kumpels von Mills/Neeson dabei sind wird es fast gut. Taken 3 hat sogar einen Plottwist mehr, als ich ihm zugetraut hätte und gegen Ende kommt ganz kurz dank Porsche und Landebahn etwas Bad Boys-Feeling auf. Das wars aber auch schon. Ansonsten herrscht ein grandioser Totalschaden vor, gegen den auch Liam Neeson nichts mehr ausrichten kann. Seien es Whitaker als leichtgewichtige Tommy Lee Jones – US Marschals – Imitation, blasse Bösewichte oder die miesen Popsongs. Ist aber alles noch fast harmlos im Vergleich zum Kern des Versagens: Die Action ist einfach scheiße. Obwohl man das so genau meist gar nicht sagen kann, da man es nicht genau sieht. Denn Olivier Megaton hat sich im Vergleich zu Teil zwei nochmal „gesteigert“ und hier ein PG-13 Jump Cut-, Kamerawackler- und Schnittmassaker veranstaltet, wie man es so wohl noch nicht gesehen hat. Wenn man es denn sehen kann… Zur Linderung nochmal das Original anschauen 96 Hours – Taken *schnüff*
Vielen Dank für die ausführliche Rezension und das Aufmerksammachen auf den Vorgänger! 🙂
De nada! 🙂
Muss Dir (leider) Recht geben. Nach dem 1. Teil hätte ich mir mehr erwartet. Schade
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Taken 1&2 haben übrigens einen wirklich großen Logikfehler, der so gar nicht geht*g*.

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